Eva Surma (Österreich) lebt in der Südsteiermark und arbeitet seit 1991 als Sprachtrainerin für Deutsch als Fremdsprache. 2005 hat sie mit einer Kollegin zusammen den feministischen verein-freiraum und 2007 die Frauenberatungsstelle in Leibnitz gegründet. Seit mehr als zehn Jahren ist sie Mitglied des Literaturkreis Lebring. Sie schreibt Lyrik und Prosa auf Deutsch und Italienisch. „Die Farbe sieben“ und „Wir, bewegende Steine“ enthalten Arbeiten von ihr in gebundener Form. Eva Surma schreibt auch für tagesaktuelle Medien und ihren Blog www.evasurma.eu. Einige ihrer Werke wurden bei italienischen, österreichischen und kroatischen Literaturwettbewerben prämiert. Zweimal monatlich präsentiert sie zusammen mit ihrem Hamburger Kollegen „Die Feministin in Leibnitz und der Piefke in Triest“, eine multikulturelle Radioshow im Freien Radio Salzkammergut. Aktuell arbeitet sie im Auftrag des Landes Steiermark am Steirerinnen Kabarett, das sich mit der Situation von Frauen auf dem regionalen Arbeitsmarkt auseinandersetzt.
Deutsch
MEINE MIGRATIONSGESCHICHTE
Schon vor vielen Jahren bin ich migriert. Die anderen haben es nicht bemerkt, weil gut zu funktionieren, mir von Kindheit antrainiert war. Zufällig wohl fand ich eine Pforte in der Einfriedung meines Alltags. Schreibend konnte ich diese geheime Tür öffnen, mich durchzwängen, um zu flüchten, auszubrechen, mich davon zu machen. Die Welt, die sich mir auftat, bestaunte ich und kehrte doch immer wieder pünktlich zurück, an den mir vorgesehen Platz. Zu meinem Hamsterrad.
Vielleicht beginnt jede Migration genau so: mit dem Wunsch, nicht mehr das Leben zu führen, das uns zwingt, uns selbst zu verleugnen, uns selbst Schaden zuzufügen. Wenn eine Person aber Schaden nimmt und die Schuld dafür immer nur bei sich selbst sucht, wie kann sie zu einem freien Blick gelangen? Da es ja offensichtlich meine Entscheidungen waren, die mich in diese missliche Situation gebracht hatten, stieg ich brav ins Hamsterrad der Selbstanschuldigungen und lief und lief, was das Zeug nur hielt.
Erschöpft fiel ich aus dem Rad nieder auf die Streu in meinem Käfig, um am nächsten Morgen mit neuer Kraft loszutraben. Aber da ich den Weg ins Freie nun schon einmal gefunden hatte, lief ich nur mehr halbherzig und eines Tages wusste ich, dass ich gehen würde, aufbrechen und nicht mehr wiederkommen.
Ich war so stolz auf mich, als ich den Mut gefunden hatte, alle Brücken hinter mir abzubrechen, dass ich es gewagt hatte, mich so weit vom Ausgangspunkt zu entfernen, dass eine Rückkehr selbst beim besten Willen nicht mehr möglich war. Da setzte ich die Segel und fuhr hinaus und war endlich ich. Und war allein. Im neuen Leben angekommen, wusste ich nicht, ob ich mich selbst verloren hatte oder ob gerade das der Anfang von meiner Selbstfindung war. Ich gab mir Mühe, die neuen Regeln zu lernen und fand: neue Hamsterräder. Wollte ich mir eines erobern, dauerte es aber nicht lange, bis mein Fremdsein zu Tage trat. Man sah mich an und stellte schnell fest, dass ich keine von hier war. Ihre Gesichter lächelten, aber sie sprachen ihre Sprache und zwar so, dass ich sie auch mit allen Anstrengungen, die ich unternahm, nicht verstehen konnte. Sie lachten, wenn ich versuchte, wie sie zu sprechen, wie sie zu leben. Je mehr Mühe ich mir gab, desto unfreundlicher wurden ihre Gesichter.
Ich las ihre Dichter und trug ihre Tracht. Ich putzte ihre Toiletten und steckte mir am Sonntag die Zöpfe hoch. Das Spiel, das sie spielten, durchschaute ich. Die Regeln lagen auf der Hand. Eine davon lautete: Wer nicht dazugehört, darf nicht mitspielen. Dass ich mich zugehörig fühlte, zählte nicht. Wie kann ich einen kühlen Kopf und einen klaren Blick behalten? Und wieder rettet mich das Schreiben. Es findet mich, und ich mich in ihm. Erst als ich sah, dass meine Texte auf Gegenliebe stießen, bemerkte ich, dass wir viele sind.