Sophie Reyer (Österreich) geboren in Wien 2013 “käfersucht” bei S. Fischer. 2013 Preis "Nah dran!" für das Kindertheaterstück "Anna und der Wulian". 2014 Uraufführung "Anna und der Wulian" an der badischen Landesbühne. Seit 2016 Doktor der Philosophie (Universität für Angewandte Kunst, Wien).
Deutsch
Jedes Gefühl
ist ein Tier
manchmal
Ruhe ist wollig und
oft wie ein Schaf
Scham wahlweise Schnecke
oder Schildkröte und zieht
gern den Kopf ein. Offenheit
ist ein Tor. Liebe bäckt
Kuchen oder breitet ein weiches
Tuch über dir aus.
Hass ist eine Nachtschicht
aber grau. Angst spielt
verstecken und meidet den Keller.
Stolz sitzt an der Spitze
des Turmes auf einem
Glasberg und schaut
heimlich blutend herunter.
Menschen sind Tiere
wusstest du das?
Vertrauen geht ganz tief
im Bauch auf Tauchstation
und sagt immer: danke und
auch und bläst dabei
Luftperlen aus während
Beständigkeit bebt
wie ein Wal der sich
lautlos bewegt fast als
eine Feder im Wasser: er
schwebt! Und Güte
hat einen Garten in dem
alles blüht. Trauer hüllt sich in
warme Schals und weint und
hat meist Heimweh dabei die
heimlich die Kleider
der besten Freundin trägt. Sie sagt oft
leider und singt keine Lieder. Die
Furcht ist eine schwarze Frucht die
oft nach dir ruft. Sie tut
aber so als gäb es sie gar nicht,
ehrlich! Schau her! Und Zufriedenheit
liegt ganz still unter einem
Baum und träumt einen Traum.
Du steigst auf dein Fluggerät
eine Libelle mit Helm
und besegelst die Welten der
Wesen denn alle
weißt du
sind sie in
dir
Jedes Gefühl
ist ein Tier
manchmal
das ist alles:
du bist
dein Verhältnis zum Schmerz
Ausbluten Dauer und Mut
bist das Zeichen der Schwäche
gegen alle Likes alle Sinnhaftigkeiten
kein Selfie kriegt dich
keine Kunst kein Kommerz
du bist
dein Verhältnis zum Schmerz
du bist
dein Verhältnis zum Schmerz
Gänsehaut so
weil alles anders ist während
die andern
in der Hölle des Gleichen gefangen
du bist
dein Verhältnis zum Schmerz
Fülle aus Lachen
Leib nie mit seinem Wert ident
immer woanders schon bist du
schonungslos
du bist
dein Verhältnis zum Schmerz
hast keine Wünsche und Vorlieben
abgekoppelt Hand Arm Fuß und Wort
gegen alle Analgetika alle Motivationstrainer
homeless
und ausgerichtet auf ein Du
das den Riss beibringt
immer wieder
an den Rändern
du bist
dein Verhältnis zum Schmerz
Ferment der Revolution
unterdrückt
gewürgt
verdrängt
bist die für die das Rauchverbot gilt
Virusträger und Wunde
Falte im Gesicht
nicht messbar nicht zählbar
kannst bloss erzählen
von einem Geheimnis dass du nicht kennst
aber das ohne Worte
die anderen kriegen alle ein Stück
von der Torte du isst nicht
bist nicht
nicht optimiert
nicht von Bildern verführt
Kälte des Weltalls
auf deinen Knochen
du bist
dein Verhältnis zum Schmerz
Pfeile einigemale
das Herz durchbohrt da
wo keiner deine Hand hält
in einer viel zu schönen Welt
in der Sonnen mit Leucht
Reklameschildern aufgehn
so schön
und das jeden Tag!
nimmst du die Sprache ab
und zerstörst sie
du bist dein Verhältnis zum Schmerz
ein Scherz bist du
eine Zärtlichkeit
ein sinnentleertes Symptom
das die Grenze beschreibt
du bist die Prinzessin auf der Erbse
die unter der Matratze leidet
weil die Erbse verschwunden ist
und Eduard mit den Scherenhänden
der sich nicht traut irgendwen
nochmal in die Arme zu nehmen
aus Angst
vor sich selbst
du bist
dein Verhältnis zum Schmerz
du weißt die Insel
auf der du ruhst
ist ein hungriger Fisch
aber manchmal
schläfst du noch auf ihr
allem zum Trotz
der Tod war gestern
und wird morgen wieder sein
er macht dir keine Angst mehr
tropfenförmig sickert
dein Abstand ins Leben ein
du bist die die Widerstand leistet
Selten
finden heute noch Berührungen statt
während die andern sich Make- up auf die Haut schmieren
willst du Haut eher loswerden
also ritzen schaben schneiden
um zu sehen
was Grenze meint
welche Bindungen heute
noch echt sind
du bist
dein Verhältnis zum Schmerz
Unterschied bist
Verhältnis
Beziehung und Wirklichkeit
hängst in der Luft
dehydrierst nicht am Digitalen
bist ohne Preis ohne Wert
ein Begreifen
eine Erde die in die Sonne stürzen wird
irgendwann
bist der Abstand der sich nicht
überbrücken lässt
du bist
dein Verhältnis zum Schmerz
im Sonnenlicht bist
schlägst dem Tod ins Gesicht
und dem Ich
du lässt dich nicht googeln
du bist die Krise der Kommunikation
die Neigung zum Verstummen
und die zärtliche Wunde
offen wie wortlos
ein ewiger Bund
du bist
dein Verhältnis zum Schmerz
du bist
dein Verhältnis zum Schmerz
die Bildung des Geistes bist
die radikal mit dem Gewesenen bricht
bei jeder Blume zu verweilen
das Andere an ihr als Abgrund zu begreifen
als Schönheit und Trennung
Trennung und Schönheit
du bist
der nur singbare Rest
für den keine Syntax erfunden wurde
keine Metapher gebaut
Haut durch die
etwas hindurchbrach
einfach
wahr und ohne Pracht
du bist
dein Verhältnis zum Schmerz
du bist
Herz
Herz bist du
weil Sein Schmerz ist
Schattenkind
ergibst dich wo das Wort zerbricht
und dringst in die Rillen vor
Näherin die das Weben nie vollendet
trägst das Dasein
unverfügbar
haltloser halt im kurzen Aufenthalt Atmen
Schwermut und Mut
du bist Herz
die Nähe der Ferne
wieder und wieder: Näherin Weberin inneres Kind
bist die Rettung der Erde sie zu schonen
du bist
dein Verhältnis zum Schmerz
du bist
dein Verhältnis zum Schmerz
gebietest Distanz
und gibst Würde
wo alles Kapital werden muss
bleibst in der Urferne
duftest fremd
das Späte ist deine Gangart
ungesehen verschleift es sich
vollzieht den Riss
gegen den nichts hilft
außer Geduld und Warten
das Ertragen bist
und das Dahingeben
in einem Zuviel an Welt
zwischen youtube und self- tracking
bist Schnecke zwischen den Schnelligkeiten
willst nichts und kannst nichts
und hast alles längst wieder verlernt du
bist
Epilog noch: in die Freiheit fallen
wieder du bist
dein Verhältnis zum Schmerz
Herz und Öffnung für andere
auch wenn sie sich abschaffen
um als Spezies zu
überleben bleibst du
dein Verhältnis zum
Schmerz